Presseberichte 2025


Ovationen und Böller

Foto: Ralf Hinz

Nach 30 Jahren geht Dirigent Josef Christ in den Ruhestand. Ein herzliches, emotionales Abschiedskonzert im voll besetzten CCU.

Es war das „Jahreskonzert“ der Jungen Bläserphilharmonie Ulm (JBU). Und es dauerte auch fast vier Stunden! Aber eigentlich handelte es sich im Saal ja um ein 30-Jahre-Konzert – das Finale für Josef Christ, der 1995 die Leitung des Jugendorchesters übernommen hatte, das damals noch Ulmer Kinderbläserphilharmonie hieß, und der jetzt in den Ruhestand geht. Ein Riesenprogramm, Überraschungen, große Herzlichkeit.

Irgendwann an diesem unvergesslichen Samstagabend dirigierte Christ den höllischen „Cancan“ aus Offenbachs Operette Orpheus in der Unterwelt und animierte das Publikum, doch bitte mitzumachen: damit der Kreislauf in Bewegung komme. Also aufstehen, in die Knie gehen und in scharfem Tempo mitklatschen. Lustig. Aber um den Kreislauf musste sich niemand sorgen. Immer wieder erhob sich die begeisterte JBU-Familie im Saal und brachte Christ sehr freiwillig Ovationen dar, Beifallsstürme; also keiner blieb da ruhig sitzen.

Und Silvesterstimmung gab’s auch: Böller-Detonationen wie auf dem Münsterplatz, aber ohne Pulverdampf und handgemacht. Auf jedem Sitzplatz lagen vier Papiertüten, die percussiv zum Einsatz kamen – oder kommen sollten. Es war ja nicht nur ein Finale, sondern auch ein Auftakt. Christ übergab den Taktstock an seinen Nachfolger Lukas Weiss, und der dirigierte dann die gewaltig feierliche Festmusik der Stadt Wien von Richard Strauss. An einem Extra-Pult stand Christ und wollte dazu mit dem Publikum punktgenau für Kracher sorgen.

Ein Riesenspaß – aber auch ein schöner Effekt. Viele hatten ihre Tüten in den Minuten davor schon verschossen, es war ein fröhliches Tohuwabohu. Es war der einzige Moment in diesem Konzert, dass Christ, der in diesen 30 Jahren der JBU nicht zuletzt spielerisch die dirigentische Kontrolle verlor – und das natürlich lachend wegsteckte.

Das Nachwuchsorchester begann gewohnt mit einem vielversprechenden Auftritt, nicht zuletzt erklangen Songs Of The Sea von Johnnie Vinson. Und Stefan Bill, Vorstandsvorsitzender der Sparkasse Ulm, überreichte wieder einen Spendenscheck für die JBU – in den 30 Christ-Jahren sind so 250.000 Euro zusammengekommen!

Und das Große Orchester zeigte seine überregionale Klasse mit Stücken, mit denen die JBU schon Ende Mai in einem Konzert des Deutschen Musikfests geglänzt hatte: Eine prachtvolle Klangkulisse entfaltete Music For A Festival von Philip Sparke, eine rhythmisch raffinierte Klassik-Bearbeitung war die Farandole aus der L’Arlésienne-Suite von Georges Bizet, der Filmmusik-Hit Robin Hood – König der Diebe samt der Titelmelodie Everything I Do, ein schmissiges Medley aus der Lehár-Operette Die Lustige Witwe. Faszinierend: Alfred Reeds Armenische Tänze Nr. 1.

Das war noch lange nicht alles. Herzliche Dankesworte von Patrick Schleicher, dem Vorsitzenden des Vereins der JBU, der die Erfolge von Josef Christ aufzählte: „Voller Leidenschaft“ habe er sich der musikalischen Arbeit gewidmet. Oberbürgermeister Martin Ansbacher rühmte die JBU als einen „riesengroßen Schatz der Stadt Ulm“, Christ habe sich mit „großem Herzen“ engagiert. In einem Video grüßten Alt-OB Ivo Gönner, Michael Leibinger (langjähriger JBU-Vorstand), Trompeter Joo Kraus und andere; die Ulmer Spatzen sangen Humperdincks Abendsegen, den Klassiker aus den gemeinsamen Weihnachtskonzerten. Von der Empore tönte ein Sprechchor: „Josef, wir lieben dich!“

Christ selbst kam mit einem Sombrero auf dem Kopf und mit einem Koffer auf die Bühne, aus dem er ein großformatiges Banner holte und entfaltete, mit dem die Chinesen für Konzerte der JBU geworben hatten. Die vielen Reisen, die Zeit der Superlative. „Es war ein Traumjob“, sagte Christ. Er ließ die 30 Jahre Revue passieren, dankte nicht zuletzt seinen Weggefährten vom Verein, der Musikschule, den Instrumentallehrern, den Eltern.

Und sein Großes Orchester hatte ein besonderes Geschenk vorbereitet: ein Medley, Erinnerungen an die gemeinsame Zeit, angefangen mit dem „Mambo“ aus West Side Story.

Und was heißt Großes Orchester? Es kam noch ein Ehemaligenorchester dazu, weitere rund 100 Musiker. Ausgelassen, die pure Freude: Thrift Shop von Ben Haggerty mit vielen Soli. Nix Rührseliges, sondern überschwängliche Fröhlichkeit. Ein begeisterndes Finale. Dann war, wie gesagt, Lukas Weiss dran: mit der Festmusik. Nach fast vier Stunden ein Auftakt mit Papiertüten-Böllern.

Der Neue debütiert beim Weihnachtskonzert

Derzeit arbeitet Josef Christ seinen Nachfolger Lukas Weiss noch ein. Zum 1. November übernimmt der 1986 in Ulm geborene Dirigent dann offiziell die JBU. Sein erster Auftritt wird das Weihnachtskonzert von JBU und Spatzenchor in der Pauluskirche sein: am 14. Dezember, 14 und 17 Uhr.

Quelle: Südwest-Presse Ulm
Autor: Jürgen Kanold
Datum: 13.10.2025


Große Töne zum Abschied für Josef Christ

Foto: Ralf Hinz

30 Jahre lang leitete Josef Christ die Junge Bläserphilharmonie Ulm. Generationen von Ulms Nachwuchsmusikern hat er mit seiner Arbeit geprägt. Der Abschied war emotional.

Es sei eine Zeit der vielen Superlative gewesen, sagte Josef Christ sichtlich bewegt auf der Bühne des CCU. „Und es war ein Traumjob!“ In einem vierstündigen musikalischen Marathon wurde Christ, der die Junge Bläserphilharmonie Ulm drei Jahrzehnte lang geleitet und sie 2008 zum ersten Platz beim Deutschen Orchesterwettbewerb geführt hatte, in den Ruhestand verabschiedet – und sein Nachfolger Lukas Weiss mit Böllerknall begrüßt.

Drei Jahrzehnte sind eine lange Zeit, in der Christ Generationen von jungen Musikern geprägt hat. Entsprechend umfangreich war das Programm aus geplanten und überraschenden Programmpunkten, in dem sich das Nachwuchsorchester unter anderem mit Arrangements aus George Bizets „Carmen“ und mit einem Medley aus aufs Meer bezogenen Kompositionen präsentierte. Aus der gesamten Bläser-Literatur von einem Opernarrangement bis zur Filmmusik aus „Robin Hood“ und einer Cancan-Zugabe zeigte das Große Orchester sein Können.

30 erfolgreiche Jahre an der Orchesterspitze

In Reden vom JBU-Vorsitzenden Patrik Schleicher, von Oberbürgermeister Martin Ansbacher und von Josef Christ selbst wurden jene 30 Jahre lebendig, seit Christ 1995 – damals noch Klarinettist der Ulmer Philharmoniker – die Leitung des Orchesters zunächst kommissarisch und dann im Folgejahr hauptberuflich übernahm: Erfolge, Konzert-Momente und die weihnachtliche Zusammenarbeit mit dem Chor der Ulmer Spatzen und Konzertreisen, die bis nach China, Australien, in die USA und in viele europäische Städte führten. Viel hat sich in diesen 30 Jahren verändert: Als Josef Christ die Leitung des Orchesters übertragen wurde, hieß es noch „Ulmer Knabenmusik“. Unter diesem Namen war es 1961 vom Stadtrat Udo Botzenhart gegründet und von Paul Kühmstedt, Dirigent der Söflinger Stadtkapelle, geleitet worden. 2002 erfolgte unter Josef Christ ein wichtiger Schritt – die Öffnung des Orchesters für Mädchen, mit der Folge der Umbenennung von der „Knabenmusik“ in „Junge Bläserphilharmonie Ulm“.

Das Wort „Dank“ fiel oft an diesem Abend: an Josef Christ gerichtet, und von ihm selbst ausgesprochen und an Kolleginnen und Kollegen, an die Eltern der jungen Musiker und an diese selbst, an die Stadtspitze und den Gemeinderat gerichtet. Ein „Josef, wir lieben dich!“ schallte dabei unvermittelt aus einem Bereich des Saals im CCU, in dem junge Bläser ihre Plätze hatten. Das Große Orchester hatte, ohne dass Christ es wusste, ein Medley der unter ihrem Dirigenten gespielten Bläserliteratur arrangiert und geprobt.

Zum Abschied mit Geschenken überhäuft

In einem Video kamen viele zu Wort, die in diesen 30 Jahren mit Christ zu tun hatten – darunter Alt-OB Ivo Gönner und Annina Wolf, 2002 eines der ersten fünf Mädchen, die ins Orchester aufgenommen wurden. Mit Geschenken überhäuft stand Christ schließlich mit Sombrero und Reisekoffer auf der Bühne, als die emotionalsten Momente des langen Abends begannen. Rund hundert ehemalige Orchestermitglieder – die ältesten solche, die in den 60er Jahren in der Ulmer Knabenmusik gespielt hatten, die jüngsten solche, die erst vor kurzem auf dem Weg in den Beruf aus der JBU ausgeschieden waren – versammelten sich auf und unter der Bühne, um es mit den aktuellen Orchestermitgliedern gemeinsam musikalisch richtig krachen zu lassen.

Dazwischen ein feierlicher Moment, in dem Josef Christ den Taktstock an seinen Nachfolger Lukas Weiss übergab, der sich bedankte für das in ihn gesetzte Vertrauen und den herzlichen Empfang. Beim ersten von ihm dirigierten Werk wurde klar, weswegen jeder Konzertbesucher auf seinem Platz mehrere Papiertüten gefunden hatte: aufblasen, platzen lassen, und damit in Richard Strauss‘ „Festmusik der Stadt Wien“ hinein ein Gewitter von Böllerschüssen imitieren!

Quelle: Neu-Ulmer Zeitung (NUZ)
Autor: Dagmar Hub
Datum: 13.10.2025


Abschied von der JBU:
Josef Christ übergibt den Taktstock an Lukas Weiss

Foto: SWR aktuell

Interview mit dem scheidenden Leiter der Jungen Bläserphilharmonie Ulm (JBU)

1995 hat Josef Christ die Leitung der Ulmer Knabenmusik übernommen. Ein Blasorchester, das längst nicht mehr nur Knaben in seinen Registern sitzen hat – und bald nach Christs Start in „Junge Bläserphilharmonie Ulm“ umbenannt wurde. Jetzt geht Josef Christ in den Ruhestand. Die Taktstockübergabe an Lukas Weiss erfolgt am Samstag, 11. Oktober im Congress Centrum Ulm.

SWR aktuell: Herr Christ, jetzt steht die Übergabe des Taktstocks bevor. Der Taktstock, der ist leicht. Aber das, was da übergeben wird, hat Gewicht. Es steckt ein Lebenswerk dahinter. Wie geht es Ihnen damit?

Josef Christ: Ich habe mir den Zeitpunkt, den Taktstock der JBU abzugeben, selber rausgesucht. Und es fühlt sich gut an. Ich habe lange Jahrzehnte, also 30 Jahre insgesamt, meine ganze Energie reingesteckt und sie auch zurückbekommen. Das ist die JBU, Junge Bläserphilharmonie Ulm, 1961 gegründet. Ich bin der vierte Dirigent. Ich habe versucht, das weiter auszubauen. Es ist inzwischen ein großes Unternehmen. Wir haben einen zirka 30-köpfigen Ausschuss aus Eltern und ehemaligen Eltern. Wir haben einen dreiköpfigen Vorstand, der den Verein, der eingebettet ist in die Musikschule der Stadt Ulm, ehrenamtlich mit unterstützt. Und dann haben wir natürlich die Musikschule der Stadt Ulm mit ihren Instrumentallehrern. Ohne die Musikschule wäre so ein Orchester nicht denkbar in der Qualität.

SWR aktuell: Das heißt, unter Ihrer Ägide ist die JBU nicht nur künstlerisch gewachsen, sondern auch strukturell. Dazu gehören diese vielen Stationen, die Sie auf der Welt bereist haben. Sydney, China, die USA, um nur ein paar große aufzuzählen, zuletzt Südfrankreich. Wie haben sich die vielen Reisen und der internationale Vergleich auf das Selbstbewusstsein der Jungen Bläserphilharmonie ausgewirkt?

Christ: So eine Reise hat natürlich immer zwei Dimensionen. Die eine ist die musikalische Dimension, also was haben wir für Konzertmöglichkeiten? Da habe ich immer besonderen Wert drauf gelegt, dass man auf tollen Plätzen spielt: also zum Beispiel in Florenz, die Loggia Dei Lanzi, oder in Konzertsälen wie dem Sidney Opera House, da haben wir 2002 mal gespielt, oder in China die Forbidden City, im Konzertsaal der Verbotenen Stadt. Dass wir dort spielen durften, das war ein ganz, ganz großes Erlebnis. Die andere Dimension ist das Zusammenwachsen der Gruppe. Unterwegs ergibt sich eine Dynamik im Orchester, es bilden sich sehr langfristige Freundschaften und ein soziales Gefüge im Orchester und das ist was ganz, ganz Wichtiges. Andere nennen das Teambuilding. Auch wenn die Leute schon lange das Orchester verlassen haben, die Freundschaften halten. Es entwickeln sich auch Pärchen, manche sind schon verheiratet.

SWR aktuell: Sie haben 30 Jahre lang junge Leute ausgebildet und mit ihnen ein erfolgreiches Orchester geformt. Wie hat sich die Arbeit mit jungen Leuten auf Sie ausgewirkt? Das bedeutet ja permanente Aufbauarbeit.

Christ: Ja, es ist einerseits schön, neue junge Leute wachsen zu sehen und zu sehen, wie sie durch die Anforderungen super fit werden auf dem Instrument und auch mit Freude dabei sind. Sie müssen zuerst mal Anschluss finden, qualitativ. Es sind einfach schwere Sachen, die wir spielen. Und dann kommt die Zeit des Orientierens, das Windschattenfahren sagt man beim Radrennen, das Orientieren an den Älteren. Und letztendlich übernehmen sie dann die Führungsposition. Das ist immer eine Aufgabe. Natürlich passiert es manchmal, dass viele Leistungsträger und Führungspersönlichkeiten im Orchester zusammen aufhören, weil sie weggehen zum Studieren. Dann muss man halt wieder neu aufbauen, bis man die Lücken schließen kann. Das war manchmal richtig anstrengend.

SWR aktuell: Sie haben eben das anspruchsvolle Repertoire erwähnt. Die JBU ist ja eine Kaderschmiede, so viele Hobby- wie Berufsmusiker und -musikerinnen sind daraus hervorgegangen. Wie viele von den Abgängern sind denn Profis geworden?

Christ: Also zu meiner Zeit so 20 bis 25, die Musik studiert haben und dann eben in verschiedenen Positionen ihren Platz gefunden haben. Manche studieren Schulmusik. Manche haben auf Orchester studiert und sind höchstqualifiziert. Wer im Berufsorchester landen möchte, muss super fit sein. Man braucht viel Glück, man muss zur richtigen Zeit am richtigen Platz sein. Man muss auch ins Orchester, in eine Gruppe reinpassen, da spielen ganz viele Faktoren rein.

SWR aktuell: Am Samstag ist es soweit, dann wird der Taktstock an Ihren Nachfolger Lukas Weiss übergeben. Verraten Sie uns, was da passiert?

Christ: Ja, es wird am Schluss zwei Stücke geben. Eines werde ich dirigieren und das letzte Stück mein Nachfolger, Lukas Weiss – ein sehr guter Dirigent und auch ein wirklich supersympathischer junger Mensch, der wirklich was kann. Er wird das letzte Stück dirigieren und zwischendrin gibt es dann eine kleine Übergabe des Taktstocks, einfach ein kleines bisschen Feierlichkeit. Zum Schluss spielen 160 junge Musikerinnen und Musiker, zwei Orchester zusammen. Und das heißt, die Ehemaligen und die jetzige Besetzung verabschieden mich und die begrüßen dann auch den neuen Dirigenten. Wir haben uns noch eine kleine Überraschung für die Festmusik einfallen lassen mit Böllerschüssen in der Halle.

SWR aktuell: Wie sehen denn die Pläne für die „Zeit danach“ aus. Kann jemand wie Sie einfach die Beine hoch legen?

Christ: Also ein wichtiges Ziel ist, einfach mal zur Ruhe zu kommen. Die Taktung im Beruf war sehr hoch, in ganz verschiedene Richtungen. Um so ein Orchester erfolgreich zu halten, müssen ganz viele Bälle in der Luft sein. Dazu gehört das Ausbildungskonzept, dann strukturelle Dinge. Wir haben auch eine Stiftung zum Beispiel, die in meiner Zeit entstanden ist. Und dann natürlich die Eltern, die Instrumentallehrer, das sind ganz viele Sachen und auch viele organisatorische Dinge, die mit rein spielen. Also meine Sofas zu Hause sind wenig abgenutzt bisher. Ich werde weiterhin aktiv sein natürlich, ich werde projektbezogen Dinge machen, auch im musikalischen Bereich, vielleicht auch im organisatorischen Bereich. Es kommen jetzt schon die ersten Anfragen, das ist eigentlich schön zu sehen und man kann sich ja dann raussuchen, wo man sich gut findet. Und ach, ich möchte ein bisschen außerhalb der Ferien mal reisen, das ist auch was ganz Wichtiges. Bisher war ich ja immer an die Schulferien gebunden und das ist auch schön, mal außerhalb der Hochsaison zu reisen und sich einfach ein bisschen fallen zu lassen und downcoolen.

Quelle: SWR aktuell
Autor: Rainer Schlenz
Datum: 10.10.2025


Mit dem Orchester um die ganze Welt

Foto: Ralf Hinz

Es war der Maifeiertag 2008. Wuppertal-Elberfeld, die historische Stadthalle, Gründerzeit-Pracht, eine grandiose Akkustik, die keinen falschen Ton verzeiht. Auf der Bühne: die Ulmer Knabenmusik, aber mit Mädchen in ihren Reihen – also die bald umbenannte Junge Bläserphilharmonie Ulm (JBU). Hochspannung im Saal. Josef Christ dirigiert „A Movement For Rosa“, eine Hymne auf die US-Bürgerrechtlerin Rosa Parks. Butterweich, luftig intonieren die Bläser. Dann das Pflichtstück, John Zdechliks „Chorale And Shaker Dance“. Erstklassige Solisten, perfekte Klangbalance.

Anderntags verkündete die Jury das Ergebnis: Mit 23 von 25 Punkten hatte das Ulmer Jugendblasorchester einen 1. Preis geholt und den Deutschen Orchesterwettbewerb gewonnen. Anders gesagt: Sie waren die Nummer eins in der Bundesrepublik. Deutscher Meister.

Man wird jung gehalten durch das Orchester, das ständig jung bleibt. – Josef Christ

„Das war phänomenal“, erinnert sich Josef Christ im Gespräch mit unserer Zeitung. Aber was hat der heute 65-Jährige nicht alles erlebt mit der JBU, die er im Sommer 1995 zunächst kommissarisch übernommen hatte. 1996 wurde der gebürtige Biberacher im Auftrag von Verein und städtischer Musikschule dann der Nachfolger des verstorbenen Kreso Pascuttini. Jetzt am Samstag steht im Jahreskonzert im Congress Centrum eine „Taktstockübergabe“ an: Christ geht in den Ruhestand, es folgt Lukas Weiss.

„Das ist alles schnell vergangen“, sagt Christ über die vergangenen drei Jahrzehnte: „Man wird jung gehalten durch das Orchester, das ständig jung bleibt.“ Die JBU besteht aus einem Nachwuchsorchester und dem Großen Orchester mit rund 70 Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die in der Regel bis zum Ende ihrer Schulzeit oder ihrer Berufsausbildung bleiben. So hat, hochgerechnet, Christ mit rund 750 Musikerinnen und Musikern geprobt und konzertiert.

Klarinettist am Theater Ulm

Das bedeutet: Ein Dirigent muss ewig Aufbauarbeit leisten, immer mit neuer Energie, er muss neue Orchestermitglieder integrieren, darauf achten, dass alle Register (Instrumentengruppen) gut besetzt sind. „Da greifen viele kleine Räder ineinander“, sagt Christ. „Es geht nicht darum, einfach mal eine Rakete zu zünden, sondern dass das Orchester eine gute Flughöhe hat, dass es oben bleibt.“ Ein schönes Bild, aber mit Flugzeugen kennt sich Christ aus, als Passagier: Mit der JBU ist er um die Welt gereist.

Christ wechselte gewissermaßen aus dem Operngraben ans Dirigentenpult. Er war acht Jahre lang Berufsmusiker, Klarinettist bei den Philharmonikern am Theater Ulm. Er hat unter Generalmusikdirektor James Allen Gähres noch mit Begeisterung den „Rosenkavalier“ gespielt.

Beim Studium der Schulmusik hatte er auch das Dirigieren gelernt, gab bei der Stadtkapelle Biberach den Takt an. Später, schon in Diensten der Ulmer Knabenmusik, studierte er noch Blasorchesterleitung bei Maurice Hamers an der Musikhochschule Augsburg-Nürnberg und bei Alex Schillings in den Niederlanden (Christ erzählt gerne von den Nachtzugfahrten nach Zwolle). Und als die SÜDWEST PRESSE 1996 den jungen Dirigenten porträtierte und mit ihm über seine Pläne sprach, da war auch der „Blick nach Übersee“ ein Thema: eine geplante Tournee in die USA.

Nach Washington DC, Edenton und Atlanta ging‘s 1997. Und dann drehte Christ weiter am Globus, anfangs noch organisierend per Fax-Gerät, ohne E-Mail-Verkehr: 1999 flog das Jugendblasorchester erstmals nach Südafrika, 2002 nach Australien – unvergesslich ein Auftritt im weltberühmten Opernhaus von Sydney.

Die erste China-Tournee stand 2006 auf dem Plan. Der Dirigent schwärmt von den eindrucksvollen Sälen in den Millionenstädten, von Gastspielen etwa in der Forbidden City Concert Hall in Peking oder der Qintai Concert Hall in Wuhan. Aber auch Europa stand immer wieder auf dem Programm, zuletzt Südfrankreich oder die Toskana, mit Konzerten in Aix-en-Provence oder in Florenz. Viele Freundschaften mit anderen Orchestern wurden geknüpft.

Klingt nach fröhlich-musikalischem Sightseeing. Aber mit einem Blasorchester zu verreisen, das ist eine logistische Herausforderung. Der musikalische Leiter trägt die Verantwortung, braucht ein Organisationstalent und ein Team (aus dem Verein, dem Vorstand der JBU), das mithilft: „Wir haben alle heil zurückgebracht“, sagt Josef Christ lachend. Aber dass unterwegs auch mal ein Musiker mit Blinddarmentzündung ausfiel und mit einem Betreuer zurückbleiben musste, kam vor.

Pauken im Flugzeug

Und wie bringt man eigentlich ein Blasorchester ins Flugzeug? Mit teurem Übergepäck. Auf die erste Südafrika-Reise nahm das Orchester sogar zwei je 30 Kilo schwere Pauken mit, weil vor Ort keine auszuleihen waren. Dann fehlte beim Umstieg in Johannesburg plötzlich eine – und war in Pretoria wieder da. Oder als es 2014 nach China ging, wollte die Fluggesellschaft keine Tuben mitnehmen, diese Riesenblechblasinstrumente: nicht als Gepäck, nicht auf einem Sitzplatz („sie hätten kein Essen gebraucht!“, schmunzelt Christ). Aber nach vielen Verhandlungen kam endlich ein Okay.

Unzählige Erinnerungen. Josef Christ ist mit der JBU an Schwörmontagen für die Stadtgesellschaft aufgetreten, sie haben in der Pauluskirche zusammen mit dem Ulmer Spatzenchor in den Weihnachtskonzerten für die Aktion 100.000 und Ulmer helft Zehntausende Euro für den guten Zweck gesammelt, sie haben CDs aufgenommen und an Fernsehproduktionen mitgewirkt. Aber die Reisen waren immer ein Anreiz für die Orchestermitglieder: Und solche Erlebnisse verbinden, stärken den Teamgeist.

Den zeigte die JBU immer auch in Wettbewerben. Viele Erfolge feierte Christ mit dem Orchester und nennt vor allem auch den 1. Platz in der Höchstklasse beim Weltjugendmusikfestival in Zürich 2005: mit der Traumnote 354,5 von 360 möglichen Punkten. Ehrgeizig, ja, das war Christ immer. Und mit den Erfolgen wuchs der Anspruch. Jetzt lässt er los, zufrieden. Und übergibt den JBU-Taktstock an Lukas Weiss, den er seit September einarbeitet. „Der wird das gut machen“, ist sich Josef Christ sicher.

Jahreskonzert am Samstag im Congress Centrum

„Finale und Auftakt“: Am Samstag, 11. Oktober, 18 Uhr, steht beim Jahreskonzert der Jungen Bläserphilharmonie Ulm (JBU) im Congress Centrum Ulm die „Taktstockübergabe“ auf dem Programm. Josef Christ verabschiedet sich als Dirigent in den Ruhestand, unter anderem mit musikalischen Eindrücken von der diesjährigen Konzertreise nach Südfrankreich. So erklingen etwa die Farandole aus Bizets Arlesienne-Suite Nr.2 und ein Medley aus Franz Lehàrs Operette „Die lustige Witwe“. Auch ein über hundertköpfiges Ehemaligenorchester versammelt sich. Dann übernimmt Lukas Weiss die JBU – und dirigiert die „Festouvertüre der Stadt Wien“ von Richard Strauss.

Quelle: Südwest-Presse Ulm
Autor: Jürgen Kanold